Tiere essen?
Dies ist sicherlich die meist-diskutierte Frage in der Rohkost-Szene - ein heißes Eisen!
Hintergrund
Im Mai 2012 gab es eine emotionale Diskussion über diese Webseite im Urkostforum, dem veganen Rohkost-Forum im Internet: Die Veganer/innen beanstandeten, dass ich hier u. a. vom Ameisen-Essen redete. (Die Forumsleiterin hat die Diskussion inzwischen gelöscht, doch ich kann sie auf Anfrage zum größten Teil zur Verfügung stellen.)
Nun lebe ich aber seit einigen Monaten bei einem Rohköstler, der das Essen von rohen Tierprodukten für wichtig hält. Er empfiehlt mir, mich mehr mit dem Thema auseinander zu setzen. Hier möchte ich nach und nach die Argumente beider Seiten zusammen tragen und abwägen.
Ethik
Ein in (fast) allen Weltanschauungen akzeptierter Grundsatz ist: "Was du nicht willst das man dir tu, das füg auch keinem anderen zu". Und da wir nicht getötet und aufgefressen werden wollen, sollten wir dies auch nicht den Tieren antun, argumentieren die Veganer. Denn wir Menschen sind im Grunde ebenfalls Tiere; unser weiterentwickeltes Gehirn erhebt uns nicht über sie, zumal es zur Ausrottung vieler Pflanzen -und Tierarten geführt hat, und zur teilweisen Vergiftung von Luft, Wasser und Erde.
Meine Meinung: Die Tiere bringen sich auch gegenseitig um und fressen einander auf. Dies ist von der Natur/ von Gott auch so vorgesehen; es ist also in Ordnung. Wenn wir aber ebenfalls von der Natur/ von Gott zum Tiere-Essen vorgesehen sind, ist es ebenfalls in Ordnung; in diesem Fall gilt der oben genannte Grundsatz nicht bezüglich dem Töten von Tieren zwecks Ernährung. Für mich hängt die Ethik unserer Ernährung also von der Frage ab, zu welcher Ernährung die Natur uns vorgesehen hat! - Und was ist, wenn die Natur uns zum Kannibalismus vorgesehen hat? Kannibalismus unter Menschen lehne ich natürlich ab, da ich mir ein friedliches Zusammenleben wünsche...
Individuelle Unterschiede
Machen diese Fragen überhaupt Sinn, oder sind sie von Mensch zu Mensch unterschiedlich zu beantworten?
Bei den Tieren gibt es nur wenig individuelle Unterschiede in der Ernährung: Wir werden wohl kaum eine Kuh finden, die freiwillig Fleisch fressen und dies vertragen würde, ebenso wenig einen Hund, der freiwillig dauerhaft vegan fressen würde. Ihr Körperbau ist ihrer jeweiligen Ernährungsform angepasst.
Bei uns Menschen kommt allerdings der psychische Effekt hinzu. Viele Veganer ekeln sich vor Fleisch, und natürlich essen wir gesünder, wenn wir mit Appetit essen. Es gibt natürlich auch körperliche Gegebenheiten, die für alle Menschen gelten. Doch nach meinen Erfahrungen vertragen die Menschen unterschiedlich gut eine vegane Rohkost-Ernährung. Laut Angelika Fischer reagieren die Menschen z. B. unterschiedlich schnell auf den in Avokados enthaltenen Giftstoff Persin.
Menschenaffen
Dies sind die uns am nächsten verwandten Tiere, und ihre Ernährungs- und Lebensweise mag ein Indiz für eine gesunde Lebensweise für uns Menschen sein.
Gorillas ernähren sich vorwiegend von Blättern - erwachsene Männchen durchschnittlich 25 kg täglich! An Tieren werden wohl nur Kleintiere wie Ameisen verzehrt; das Ausmaß ist unklar.
Orang-Utans leben zu 60 % von Früchten, außerdem fressen sie Blätter, junge Triebe und Rinde - Insekten, Vogeleier und kleine Wirbeltiere nur wenig.
Schimpansen ernähren sich haptsächlich von Früchten, Nüssen, Blätter und anderes Pflanzenmaterial, doch auch Insekten und kleine Säugetiere fressen sie mehr als andere Menschenaffen.
Bonobos fressen ähnlich wie die Schimpansen, der Tieranteil ist aber niedriger.
Schimpansen und Bonobos gelten als unsere nächsten Verwandten unter den Menschenaffen.
Vormenschen
Nach offizieller Lehrmeinung lebten die Frühmenschen (Australopithecus) vorwiegend vegan, und spätestens seit etwa 450.000 Jahren, vermutlich aber schon seit 2 Millionen Jahren (ab Homo habilis) greifen die Menschen zunehmend auch zu Tierprodukten (Quelle: Wikipedia). Wie hoch der Tieranteil jeweils war, ist jedoch umstritten.
Beiträge über den Australopithecus:
dradio.de/ (Deutschlandfunk)
wikipedia.org/
spiegel.de
Max-Planck-Gesellschaft
Por-vegan: urkostmitbrigitte.de/wiki-archiv/x/607.htm
Die Autorin argumentiert mit den Frühmenschen (Australopithecus) und verschweigt, dass die Menschen später durchaus gejagt haben; dies ist aufgrund von Jagdwerkzeug-Funden bewiesen (Quelle: Wikipedia). Das Wort "niemals" in der Überschrift ist daher falsch!
Die Frage ist nun natürlich, ob und in wie weit sich der Mensch ans Fleisch-Essen angepasst hat. Dazu unten mehr.
Neuzeit
Die "zivilisierten" Völker essen fast alle tradtionell zumindest etwas Tieranteil, tendentiell in kalten Regionen mehr als in warmen Regionen. In Deutschland aßen vor allem reiche Leute reichlich Fleisch, arme Leute oft nur einmal pro Woche; daher auch der Begriff "Sonntagsbraten". Hühnerhaltung konnten sich aber auch ärmere Leute leisten. Im Hinduismus und Buddhismus gibt es einige vegetarische (Jains, Bishnoi, Todas) Völker.
Naturvölker
Hier möchte ich mit einigen Märchen aufräumen, die in der Rohkost-Szene entstanden sind:
Die Essener waren m. E. kein Volk mit Rohkost-Ernährung; das "Friedensevangelium der Essener" ist von Szekely wahrscheinlich nicht übersetzt sondern geschrieben worden (Quelle). Ich halte es zwar für möglich, dass es frühchristliche Dokumente gibt, die der Vatikan unter Verschluss hält - siehe z. B. Der Theologe Nr. 14. Die angeblich von Szekely übersetzten Schriften der Essener sind aber offensichtlich nicht authentisch.
Man weiß nicht viel über die Essener. Josephus Flavius erwähnt dass sie Ackerbau betrieben und mittags und abends gemeinsam aßen (Quelle). Das ist meines Wissens der einzige historische Hinweis auf ihre Ernährungsform. Ob die Qumran-Schriften von den Essenern stammen gilt heute als zweifelhaft.
Die Hopi-Indianer lebten, bevor sie vom weißen Mann die Viehzucht übernahmen, weitgehend vom Ackerbau, jedoch wurde wohl auch gejagt (Quelle).
Es ist meines Wissens kein Volk in der Neuzeit bekannt, das vollständig von Rohkost lebt oder lebte. Das erschwert uns Rohköstlern zugegebenermaßen die Argumentation. Doch am überzeugendsten wirkt es, am eigenen Körper zu erfahren, wie gut die Rohkost-Ernährung tut.
Auch vegane Naturvölker sind mir nicht bekannt, die Hunzas waren und sind keineswegs vegan. Es gibt aber einige die fast vegan leben oder lebten: die Hopi, Kitava und sicherlich noch einige mehr.
Körperbau
Pro-vegan: urkostmitbrigitte.de/wiki-archiv/x/599.htm
Zähne: sonjawatt.com/Zaehne.pdf
Vitamin B12
Meistens ging es in den Diskussionen über vegane Ernährung um das Vitamin B12.
Pro-vegan: urkostmitbrigitte.de/wiki-archiv/x/574.htm
Contra-vegan: josef-stocker.de/vegan_irrweg.pdf
Ein Mangel an Vitamin B12 kommt nicht nur bei Veganern, sondern auch bei Fleischessern vor. Dies bestätigt auch Angelika Fischer in ihrem Buch "Das große Rohkost-Buch", das insgesamt eine nicht-vegane Rohkost empfiehlt. Die Verwertung von Vitamin B12 hänge nämlich von einer gesunden Magen- und Darmschleimhaut ab. Warnzeichen für Entzündungen im Magen-Darmbereich seien übermäßige Blähungen. Vegane Rohköstler haben zwar öfter einen B12-Mangel. Sie missachten aber auch oft die folgenden Empfehlungen; ich vermute, dass sie mit diesen Empfehlungen genug Vitamin B12 bekämen:
- Malvengewächse (Malven, Hibiskus, Linden...) helfen der Magenschleimhaut
- Korbblütengewächse (Löwenzahn, Disteln, Margeriten, Beifuß...) helfen der Darmflora
- Gezüchtete Kohlarten (Weißkohl, Blumenkohl, Kohlrabi...) lieber meiden (Verdauungsstörungen, erkennbar durch Blähungen)
- Fruchtzucker reduzieren, eher auf traubenzuckerhaltige Früchte (Wildfrüchte, Grapefruits, Feigen, Bananen) und stärkehaltige Wurzeln (Knollensellerie, Pastinaken, Wurzelpetersilie, Süßkartoffeln...) setzen (A. Fischer, 1. Auflage 2011, S. 312ff)
- Besonders für vegane Rohköstler: Vitamin B12 ist nur in Mikroorganismen enthalten, die hauptsächlich in Tierprodukten, aber auch etwas in der Erde, im Schmutz, am Beifuß, an reifen Feigen vom Baum (besonders bei einem weißen Edelschimmelbelag), an Sanddornbeeren, an ungewaschene Algen (sprühgetrocknetes Grünalgenpulver steht dagegen im Verdacht, der Vitamin-B12-Aufnahme sogar zu schaden!) zu finden sind (A. Fischer, S. 315f).
- Natürlichen Schmutz zulassen: Mikroorganismen, die Vitamin B12 enthalten, gibt es auch in der Erde, im Schmutz. Daher Wildpflanzen und jede biologische Rohkost nicht abwaschen; sogar darf Wurzelgemüse gerne Reste von Erde haben, falls es geschmacklich zusagt (). Nach der Gartenarbeit und nach dem Toilettengang nicht die Hände waschen.
Omega-3
Angelika Fischer empfiehlt eine nicht-vegane Ernährung u. a. wegen der Omega-3-Versorgung, eine Fettsäure. In Nüssen und Samen ist der Omega-3-Anteil jedoch verschwindend gering. Ausnahmen sind Leinsamen und Hanfsamen; diese sind jedoch nicht in größeren Mengen für den Rohverzehr zu empfehlen wegen ihrem Gehalt an den giftigen cyanogenen Glycosiden. Und Avocados enthalten Persin, welches von Mensch zu Mensch unterschiedlich gut vertragen wird. Außerdem ist in Avocados etwa 20 mal mehr Omega-6 als Omega-3 enthalten. Wenn wir nun täglich 1 kg Avocados essen, würden wir genug Omega-3 aufnehmen - wenn in den Avocados nicht so viel Omega-6 enthalten wäre, das die Omega-3-Aufnahme blockieren kann. Die WHO empfiehlt ein Verhältnis von 4:1 (Omega-6 : Omega-3), als noch besser betrachtet A. Fischer ein Verhältnis von 1:1, dies sei Studien zufolge das Verhältnis in der Frühzeit der menschlichen Evolutionsgeschichte gewesen, und noch vor ein paar Jahrhunderten lag das Verhältnis angeblich bei 2:1. Überschüssige Omega-6-Fettsäure wird zu Arachidonsäure abgebaut und die kann Entzündungen verursachen. Besser sei die Fettversorgung durch Wildpflanzen, vor allem Malven- Linden- und Hibiskusblättern. Ihr Fettgehalt ist jedoch recht gering. Daher ist es gut, einen möglichst hohen Anteil an Wildpflanzen zu essen. Wer sicher gehen will oder nicht so viele Wildpflanzen essen kann oder mag, sollte laut A. Fischer rohe Tierprodukte mit hohem Omega-3-Anteil und niedrigem Arachidonsäure-Anteil miteinbeziehen (Tierprodukte enthalten teilweise Arachidonsäure, Pflanzen nicht; doch wird ein hoher Omega-6-Anteil zu Arachidonsäure abgebaut): Wildfische und Fleisch von Weidetieren (z. B. Pferd, Bison, Rind aus möglichst natürlicher Tierhaltung) eignen sich dafür besonders. Omega-3 oxidiert recht schnell und wirkt dann schädlich, deshalb sollten wir alle Omega-3-haltigen Lebensmittel möglichst frisch essen.
Lysin
Lysin ist eine Aminosäure, also ein Eiweiß-Baustein. Eiweiß besteht aus vielen Bausteinen; einige von ihnen kann der menschliche Organismus selbst herstellen, andere müssen von außen zugeführt werden. Letztere nennt man "essentielle Aminosäuren"; es sind bei Kindern 11, bei Erwachsenen 8. Eine von ihnen ist Lysin. Nüsse und Samen enthalten zwar oft viele Aminosäuren, es fehlt aber an Lysin. Wenn wir sie viel essen, können die übrigen Aminosäuren teilweise nicht ausgewertet werden und müssen abgebaut werden. Dieser Abbauprozess belastet den Körper, außerdem kann es zu einem Eiweißmangel kommen. Denn nur wenn alle essentiellen Aminosäuren ausreichend zur Verfügung stehen, kann Eiweiß aufgebaut werden. Einen guten Anteil an Lysin haben Hülsenfrüchte, doch empfiehlt A. Fischer, sich damit zurückzuhalten, da sie Lektine enthalten, die bei größeren Mengen unserer Gesundheit schaden können. Sie würden auch nicht mit Keimung ausreichend abgebaut, sondern nur durch Kochen (und am besten zusätzlich durch eine spezielle Fermentierung, wie sie bei Miso üblich ist). Manche Rohkost-orientierten Veganer ergänzen ihre Nahrung daher ein wenig mit gekochten Hülsenfrüchten.
A. Fischer (S. 115 ff) empfiehlt für die Eiweißversorgung bei Rohköstlern u. a.:
Malvengewächse: Malven- Linden- und Hibiskusblätter,
Durianfrüchte, ebenfalls ein Malvengewächs, soweit der Geldbeutel ausreicht,
Algen, jedoch nicht sprühgetrocknet, wir können sie mancherorts auch selbst sammeln,
Okra, wiederum recht teuer,
Feldsalat,
Rohen Fisch, rohes Fleisch,
Nackthafer mit Steinpilz, wenigen Leinsamen oder Banane
Diese Lebensmittel enthalten alle essentiellen Aminosäuren in ausgeglichenen Anteilen. Dies gilt meines Wissens allerdings auch für andere Wildpflanzen, rohe Eier und rohe Milchprodukte. Auch Avocados haben ein ausgeglichenes Aminosäurenprofil, allerdings auch einen hohen Omega-6-Anteil; dazu mehr im vorigen Abschnitt. Eine ausreichende Eiweiß-Versorgung ist nach A. Fischer somit bei Einbeziehung von rohen Tierprodukten leichter. Übrigens kann man angeblich auch lernen, einen ausgeglichenen Anteil an allen essentiellen Aminosäuren herauszuschmecken. Auch wenn wir uns nach dem Essen nicht richtig satt fühlen und immer weiter essen könnten, sei dies möglicherweise auf eine mangelnde Eiweißversorgung zurückzuführen.
Meine Erfahrungen
Ich kenne bisher einen Menschen, von dem ich recht sicher weiß, dass er seit 1997 vegane Rohkost isst (bis auf wenige Ausnahmen) und gesund ist. Er betreibt Sport und Krafttraining und war bis Anfang 2015 vollzeit berufstätig. Natürlich gibt es noch viele andere vegane Rohköstler/innen. Doch für mich zählen nur Menschen die ich persönlich gut kenne, denn oft werden gesundheitliche Probleme und auch Ausrutscher in der Ernährung in der Öffentlichkeit verschwiegen.
Mir sind im Laufe der Jahre jedoch viele Leute begegnet, die Probleme mit veganer Rohkost bekamen. Eine Bekannte z. B. wurde sehr dünn, und nachdem sie schwanger wurde, konnte sie die vegane Rohkost-Ernährung nicht fortsetzen, weil ihr Verdauungssystem nicht mehr mitmachte - obwohl sie auf einen geringen Obstanteil geachtet hatte. Auch ich wurde 1996 mit 11 Monaten veganer Rohkost sehr mager. Ich aß durchaus viele Wildkräuter, allerdings auch viele Datteln und anderes Obst. Später hatte ich erfolgreichere Phasen mit veganer Rohkost bei weniger Obst, einmal 9 Monate lang. Doch aus irgendwelchen Gründen hielt ich es nicht auf Dauer durch. Heute mache ich nicht-vegane Rohkost mit wenigen Kochkost-Ausnahmen. Nach meinem Gefühl erleichtert mir der Tieranteil die Rohkost-Ernährung.
Insgesamt erscheint mir eine vegane Rohkost-Ernährung eher möglich, wenn der Obstanteil reduziert ist zugunsten von Wildkräutern, Gemüse und Keimlingen. Im Januar 2013 lernte ich zwar einen langjährigen Veganer kennen, der sich hauptsächlich von Früchten ernährt und einen gesunden Eindruck macht. Ich bezweifle aber ob das auf Dauer gut geht, wenn er auf Dauer nur Rohkost isst. Anscheinend vertragen die Menschen dies unterschiedlich gut, denn ich kenne viele die mit einer solchen Ernährung recht bald gesundheitliche Probleme bekamen.
Langjährige nicht-vegane Rohköstler, die bei guter Gesundheit sind, kenne ich mehrere; ein Kanadier macht es seit etwa 1980, seine Frau seit etwa 1995.
Fazit
Nach meinen Erfahrungen ist eine langfristige vegane Rohkost zumindest für einige Menschen möglich und auch gesund, wenn sie einige Empfehlungen beachten. Für andere Menschen, z. B. wenn sie nur wenig Avocados vertragen oder (vielleicht wegen Berufstätigkeit) kaum Wildkräuter im Winter essen können, scheint es jedoch schwieriger zu sein, vielleicht sogar unmöglich, besonders bei Schwangeren oder stillenden Müttern. Mir ist es wichtig, die Augen offen zu halten und aus unserer Ernährung keine Ideologie zu machen oder wenigstens andere Sichtweisen zu respektieren!
Stand: 13.11.2015